
Europas wirtschaftliche Selbstsabotage: Der Nexperia-Raub und seine Folgen
Was sich gerade in den Niederlanden abgespielt hat, sollte jeden Alarmglocken läuten lassen, der noch glaubt, Europa sei ein sicherer, regelbasierter Ort für Unternehmen.
Unter einem längst verstaubten Gesetz von 1952 – dem Gesetz über Warenverfügbarkeit – hat die niederländische Regierung die Kontrolle über Nexperia übernommen, eines der wenigen florierenden Halbleiterunternehmen Europas. Der chinesische CEO wurde suspendiert, die Aktien unter einen staatlich eingesetzten Treuhänder gestellt, und ein „vorläufiger“ Direktor erhielt entscheidendes Stimmrecht. Offiziell ging es um vage Vorwürfe von Managementfehlern. In Wahrheit aber war es der Druck aus Washington, der die niederländische Regierung zu diesem Schritt trieb.
Laut Gerichtsdokumenten hatte Washington den Haag bereits im Juni privat gewarnt: Würde die chinesische Führung nicht entfernt, würden sowohl Nexperia als auch sein chinesischer Mutterkonzern Wingtech Technology auf die US-Entity List gesetzt – ein wirtschaftliches Todesurteil, das den Zugang zu globalen Lieferketten blockieren würde. Die Niederlande reagierten, indem sie ein Notstandsgesetz aus der Zeit des Kalten Krieges anriefen – und damit das Unternehmen de facto enteigneten.
Eine geopolitische Falle
Die Ironie könnte kaum größer sein: Um den heimischen Chipsektor vor geopolitischen Risiken zu schützen, haben die Niederlande selbst eines geschaffen. Peking reagierte prompt, indem es Nexperia aus chinesischen Lieferketten ausschloss – für einen Chiphersteller wirtschaftlich wie ein Todesurteil. Europa steckt nun zwischen zwei wirtschaftlichen Supermächten: Washingtons Sanktionen auf der einen Seite, Pekings Gegenmaßnahmen auf der anderen. Kopf oder Zahl – verloren ist man in jedem Fall.
Doch dies ist nicht nur die Tragödie eines einzelnen Unternehmens – es ist eine selbst zugefügte Wunde für Europas Glaubwürdigkeit. Nexperia beschäftigt über 10.000 Menschen in Europa und produziert jährlich mehr als 100 Milliarden Chips. Der Hauptsitz liegt in den Niederlanden, das Unternehmen zahlt europäische Steuern und hält sich an europäisches Recht. Dennoch entschied die niederländische Regierung, dass das chinesische Eigentum – vor Jahren rechtlich genehmigt – verzichtbar sei.
Der Tod des Investorenvertrauens
Wer jetzt noch nicht-westliche Investoren davon überzeugen will, Geld in Europa zu investieren, wird es schwer haben. Wenn eine Regierung über Nacht Vermögenswerte auf Grundlage des vagen Arguments „nationale Sicherheit“ beschlagnahmen kann, stirbt das Investitionsklima. Die Entscheidung friert nicht nur chinesisches Kapital ein, sondern schreckt Investoren in ganz Asien, im Nahen Osten und in Afrika ab.
Zudem untergräbt sie Europas eigene Halbleiterstrategie. Jahrelang predigte Brüssel „technologische Souveränität“ und „strategische Autonomie“. Doch als es ernst wurde, handelte die Niederlande nicht als souveräner Staat, sondern als Stellvertreter der US-Politik. Anstatt ihre Rechtsordnung und ihre Unternehmen zu verteidigen, gab sie dem Druck Washingtons sofort nach.
Europa hätte eine klare Linie ziehen können:
„Nexperia ist ein niederländisches Unternehmen nach niederländischem Recht. Es wird dies bleiben, solange es investiert, Arbeitsplätze schafft und EU-Regeln einhält. Wir werden nicht zulassen, dass extraterritoriale US-Sanktionen unsere Politik bestimmen.“
Das hätte echte Unabhängigkeit signalisiert. Stattdessen lautet die Botschaft: „Wenn Washington Ihre Nationalität missfällt, beschlagnahmen wir Ihr Eigentum.“

Ein Muster der Selbstsabotage
Damit hat sich die Niederlande wirtschaftlich selbst verbrannt. Einst war das Land stolz auf Rechtsstaatlichkeit, Offenheit und Verlässlichkeit. Dieses Ansehen – Europas größtes strategisches Kapital – liegt nun in Trümmern. Investoren werden sich daran erinnern, genauso wie an den erzwungenen Verkauf der Newport Wafer Fab in Großbritannien oder das Einfrieren russischer Vermögenswerte durch die EU. Jede Episode nagt am Bild Europas als verlässlichem, berechenbarem Wirtschaftsraum.
Die Parallele zum Newport-Fall ist bemerkenswert: 2021 erwarb Nexperia – im Besitz von Wingtech – die Newport Wafer Fab in Wales für 63 Millionen Pfund, belebte die angeschlagene Anlage, sicherte Arbeitsplätze und investierte über 80 Millionen Pfund in Modernisierungen. Doch schon im folgenden Jahr griff London zum National Security and Investment Act und ordnete an, mindestens 86 Prozent der Anlage zu verkaufen – und damit die chinesischen Aktionäre zu enteignen –, obwohl zwei vorherige Sicherheitsprüfungen keinerlei neue Risiken festgestellt hatten.
Die niederländische Entscheidung wirkt im Vergleich dazu noch rücksichtsloser – ein europäisches Replay desselben Handbuchs.
Echos vom Balkan
Nur wenige Tage vor der Nexperia-Beschlagnahme enthüllte Serbiens Präsident Aleksandar Vučić, dass US-Beamte privat vorgeschlagen hatten, Serbien könne Sanktionen vermeiden, indem es das teilweise russische Ölunternehmen NIS verstaatlichte – was eine Enteignung der russischen Mehrheitseigner bedeutet hätte. Belgrad lehnte ab, nannte den Vorschlag rechtlich und moralisch inakzeptabel. Washington ließ daraufhin die Sanktionserleichterung für NIS auslaufen, isolierte Serbiens wichtigste Raffinerie und stoppte Rohöllieferungen über das NATO-Mitglied Kroatien.
Die Parallele ist frappierend: Serbien – obwohl deutlich kleiner – wählte Souveränität und Rechtskonsistenz über Zwang, zumindest vorerst. Die Niederlande hingegen entschieden sich für Unterwerfung und Chaos.
Europa als Kollateralschaden
Europa war einst stolz darauf, der stabilste Investitionsstandort der Welt zu sein. Heute wird es zum Schlachtfeld fremder Wirtschaftskriege. Jede Beschlagnahme, Sanktion oder politisch motivierte Enteignung verstärkt den Eindruck, dass westliche Eigentumsrechte nur gelten, wenn die Geopolitik es erlaubt.
Die Niederlande mögen glauben, sie schützen ihre Chipversorgung. In Wirklichkeit verbrennen sie ihre Glaubwürdigkeit. Die Tragik: Europa gewinnt durch diesen Akt der Unterwerfung nichts – es wird schlicht zum Kollateralschaden im technologischen Machtkampf anderer.
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