
Die westliche Welt am Scheideweg
Einleitung
Am 13. Juli 2024 hat die ganze Welt beim Attentatsversuch an einer Wahlkampfveranstaltung in Butler, Pennsylvania, die hochgereckte Faust von Donald Trump gesehen und seine Worte gehört: „Fight! Fight! Fight!“ „God spared me for a reason“ („Gott hat mich aus einem Grund verschont“).
Während seiner Präsidentschaftskampagnen sprach er davon, „endlose“ oder „ewige Kriege“ zu beenden, und erklärte, dass die Beseitigung von „Kriegstreibern und Globalisten, die Amerika an die letzte Stelle setzen“, zu den Prioritäten seiner Politik in seiner zweiten Amtszeit gehöre.
So wurde der „Auserwählte“ zum Symbol einer Zeitenwende: Das Ende der kinetischen Kriege sei gekommen und werde abgelöst von der Strategie des „Deal Making“. Die Welt begann, sich darauf einzustellen, dass die amerikanische Politik nunmehr der relativ unkriegerischen Philosophie entsprechen würde, die Trump in seinem Buch The Art of the Deal (deutsch: Die Kunst des Erfolgs) beschrieben hat: Hart verhandeln, um den größtmöglichen Vorteil herauszuholen; immer mehrere Optionen in der Hinterhand haben; sich selbst als Marke inszenieren, um Verhandlungsmacht zu gewinnen; Risiken eingehen, aber so, dass man selbst möglichst wenig verliert; den Gegner unter Druck setzen und das Momentum ausnutzen – dabei aber kein Geld für Kriege verschwenden.
Viele haben diesen Versprechungen geglaubt. Wie sich aber jetzt herausstellt, waren dies nicht nur Wunschvorstellungen, die der aktuellen Realität nicht entsprachen und entsprechen. Es waren vielmehr Produkte aus der Propagandawerkstatt des Social Engineering (Methode zur Beeinflussung von Menschen). Das klassische historische Vorbild für diese Methodik sind David Rockefeller und seine Kreise.
Rockefeller
Wer sich schon etwas länger auf dieser unserer Weltkugel herumtreibt und Augen und Ohren weitgehend offen gehalten hat, erinnert sich noch gut an das Postulat „Wir müssen Leute in allen Lagern haben“. Dies wird aus gutem Grund David Rockefeller zugeschrieben. Er war ein Grossmeister des Networking und des Social Engineering. Erinnert sei an seine Rolle bei der Rockefeller Foundation, dem Council on Foreign Relations (CFR), der Trilateralen Kommission oder den Bilderberg-Treffen.
Rockefeller sprach immer wieder davon, dass er und seine Familie globale Institutionen unterstützen, „um die internationale Zusammenarbeit zu fördern“. Berühmt geworden ist etwa dieser Satz:
„Einige glauben sogar, wir seien Teil einer geheimen Verschwörung, die gegen die Interessen der Vereinigten Staaten arbeitet, indem sie meine Familie und mich als ‚Internationalisten‘ bezeichnen, die mit anderen weltweit zusammenarbeiten, um eine stärker integrierte globale politische und wirtschaftliche Struktur zu schaffen – eine Welt, wenn man so will. Wenn das der Vorwurf ist, bin ich schuldig, und ich bin stolz darauf.“
David Rockefeller, Erinnerungen eines Weltbankiers
Hier zwei seiner Zöglinge:

David Rockefeller hat Brzezinski nicht „erfunden“, aber er hat ihn institutionell und netzwerkstrategisch gefördert: Erst über das Council on Foreign Relations, dann gezielt durch die Trilaterale Kommission. Dort bekam Brzezinski die Bühne, sein Denken umzusetzen. So wurde er von 1966 bis 1968 Wahlkampf-Berater Lyndon B. Johnsons und von 1977 bis 1981 Sicherheitsberater von US-Präsident Jimmy Carter. Sein Buch Die einzige Weltmacht über die angelsächsische geopolitische Strategie ist ein immer noch aktueller Klassiker.
Rockefeller und Kissinger waren zwar kein Mentor-Schüler-Paar im klassischen Sinn. Aber Kissinger stieg über den Council on Foreign Relations (CFR) auf, in dem Rockefeller als dessen Finanzier eine führende Rolle spielte. Kissinger schrieb für die Foreign Affairs, das Flaggschiff-Magazin des CFR. Gemeinsam verbanden sie Bankeninteressen, Ölpolitik, den Kalten Krieg und die Globalisierung. Berühmt wurde etwa Rockefellers Reise 1973 mit Kissinger nach China, um die Aufnahme wirtschaftlicher Beziehungen zu sondieren. Kissinger war damals Nationaler Sicherheitsberater unter Nixon. Nach seiner Zeit in der Regierung baute Kissinger eine Beratungsfirma (Kissinger Associates) auf, bei der Rockefeller-Kontakte zentrale Türen öffneten.
Das Rockefeller-Netzwerk und seine aktuellen Nachfolger verfolgen nach wie vor die alten finanzimperialistischen Ziele – so auch jetzt.
Donald Trump, die neu verkleidete Sprechpuppe des Establishments
Zur Zeit des Wahlkampfes von Donald Trump gegen Joe Biden kamen für die Amerika beherrschenden Kreise mehrere zentrale Probleme zusammen: Die etablierte Politkaste hatte in den Augen der heimischen Bevölkerung abgewirtschaftet, war deligitimiert und hatte jegliches Vertrauen verloren. Die Bevölkerung war kriegsmüde. Gleichzeitig wurde das drohende Weltuntergangsscenario eines Finanzcrash wegen der US Haushalts- und Handelsbilanzdefizite immer sichtbarer. Vonnöten war somit ein Hoffnungsträger, der authentisch das Misstrauen gegenüber dem politischen Establishment verkörpert und sich als Außenseiter präsentiert, der „den Sumpf austrocknen“ würde („Drain the Swamp“). Zudem musste er den Eindruck vermitteln, er werde die Deindustrialisierung der Wirtschaft rückgängig machen, die Haushalts- und Handelsbilanzdefizite wirksam bekämpfen und die „ewigen Kriege“ beenden können.
Dass eines dieser Probleme ernsthaft gelöst werden würde, war nicht beabsichtigt. Es wurde nur eine neue Marionette installiert, die so tun sollte als ob.
Um die offensichtliche Delegitimierung der herrschenden Politkaste wirklich zu beenden, wäre es notwendig gewesen, die Grundstruktur des bestehenden politischen Systems zu reformieren. Daran hatte niemand mit Einfluss innerhalb und ausserhalb des Beltway ein Interesse, denn schliesslich leben „wir“ alle davon, dass „wir“ unsere Posten behalten, „uns“ weiterhin vom Staat alimentieren lassen und „uns“ die Taschen voll stopfen können – nach „uns“ die Sintflut.
Die Haushalts- und Handelsbilanzdefizite können – ganz abgesehen von den fast unüberwindbaren technischen und gesellschaftlichen Veränderungen, die dafür notwendig wären – ohne grundlegenden Machtverlust des Finanzimperiums nicht gelöst werden. Also setzt man darauf, das Problem auf die lange Bank zu schieben (wie die Amerikaner sagen: kick the can down the road) in der Hoffnung, doch noch Geldgeber zu finden, die das System vorläufig noch aufrechterhalten.
Und dass die Kriege von der gegenwärtigen US-Administration nicht beendet, sondern mit teuflischem Eifer geschürt werden, sehen wir jeden Tag.
Der Betrug wird ruchbar

Bei Trumps Wählerschaft rumort es gewaltig. Einige der prominentesten Trump-Propagandisten greifen ihn massiv an. Der pensionierte Colonel Lawrence Wilkerson spricht davon, dass diese MAGA-Bewegung beginnt, sich „mitten aus dem Herzen heraus“ zu spalten.
Der bekannte amerikanische Fernsehmoderator und politische Kommentator Tucker Carlson, der Trump im Wahlkampf nachhaltig unterstützt hatte, greift ihn derzeit aus verschiedenen Gründen an. Er wehrt sich etwa dagegen, dass Trump versucht, seine eigene Verstrickung in die mehr als unappetitliche Epstein-Affaire zu vertuschen und die entsprechenden Akten nicht freigeben will.

Weiter prangert Carlson den aggressiven Kriegskurs der Trump-Administration an. In diesem Kontext hat er mit dem texanischen Senator Ted Cruz, einem der wichtigsten Mitstreiter von Trump in Sachen Regimechange im Iran, ein Interview geführt, in dem der Herr Senator mehr oder weniger vollständig demontiert wurde.
Aber Tucker Carlson ist nicht allein. Viele weisen darauf hin, dass Trump bisher kein einziges seiner Wahlversprechen eingelöst hat – insbesondere hinsichtlich der Beendigung der von USrael geführten Kriege.

Die republikanische Abgeordnete von Georgia, Marjorie Taylor Greene (MTG), hat sich kürzlich überraschend klar von Donald Trump abgewandt, obwohl sie lange zu seinen loyalsten Unterstützerinnen gehörte. Sie erklärte gegenüber der Times, dass die Amerikaner die Konflikte in fernen Ländern „satt haben“. Sie hat Trumps Ankündigung scharf verurteilt, Waffen über die NATO an die Ukraine zu liefern. Dies sei Verrat an dem Grundsatz „America First“. Ihrer Meinung nach riskiert Trump damit, die USA in einen weiteren Krieg hineinzuziehen. Sie spricht von Wortbruch:

„Genau das haben wir im Wahlkampf abgelehnt – kein Geld mehr für die Ukraine, wir wollen Frieden.“
Quelle: The Daily Beast
Schon im Juni forderte sie, keine Bomben auf den Iran zu werfen und hat Trump dafür kritisiert, dass er Luftangriffe auf iranische Nuklearanlagen angeordnet hatte. Sie bezeichnete das als Wortbruch und als Abkehr von seinen Versprechen, keine neuen Kriege zu führen.
Diese offenen Angriffe auf Trumps Kurs zeigen, dass es im Lager der „America First“-Bewegung erheblich Risse gibt. Greene stellt sich offen gegen Trumps außenpolitischen Kurs und Teile seiner Wirtschaftspolitik. Sie betont zwar, dass sie Trump persönlich noch unterstützt – doch ihre Kritik zeigt, dass sein einst geschlossenes Lager auseinanderzubrechen droht.
Trump verliert Menschen, er verliert seine Basis, und das nur wenige Monate nach Beginn seines zweiten Amtsjahres.
Und diese Erosion findet nicht nur in den Vereinigten Staaten statt. Das Vertrauen in den Willen der US-Administration und seiner Sprechpuppe Trump ernsthaftes „Deal Making“ zu betreiben, ist inzwischen auch international bei Null.
Verhandlungs-Kabuki
Kenntnisreiche Beobachter der Lage wie Gilbert Doctorow gehen zwar immer noch davon aus, dass „Trump“ an einer Normalisierung der Beziehungen zwischen den USA und Russland interessiert sei und darauf hinarbeite. Colonel Douglas Macgregor, lange einer der treusten Unterstützer Trumps, teilte am 15. Juli 2025 im Gespräch mit Judge Napolitano mit, seine Quellen aus dem Weissen Haus versicherten ihm glaubhaft, die Hintergrundgespräche zwischen den amerikanischen und den russischen Verhandlern fänden weiterhin statt und liefen gut.
Andere, wie etwa Pepe Escobar, vergleichen diesen Verhandlungs-Wanderzirkus mit einer japanischen Kunstform. Kabuki ist eine traditionelle Form des Theaters, bei der dramatische Gesten, Maskenhaftigkeit und formale Regeln wichtig sind, der Ausgang der Dramatik aber von vornherein feststeht. Die verführerischen Schalmeienklänge von Steve Witkoff in Moskau und St. Petersburg bringen ausser dem vergeblichen Versuch, Russland mit wolkigen Ankündigungen von wirtschaftlichen Kooperationen einzulullen und nach Möglichkeit aus dem China-Lager zu locken, keinerlei konkrete Ergebnisse.

Aber der Versuch, Russland mit dem Zuckerbrot von wirtschaftlichen Vorteilen und bei Wohlverhalten auch Lockerung von Sanktionen zu ködern ist zu durchsichtig. Gleichzeitig wird seitens Keith Kellogg in Kiew kräftig die Peitsche geschwungen.

Nach wie vor geht es um die Zusammenarbeit der jeweiligen Geheimdienste, schärfere Sanktionen gegen Russland und die Ausweitung der US-amerikanischen Militärhilfe und Maximalforderungen an Russland, das sich danach gleich ergeben sollte. Von „Normalisierung“ in den Beziehungen zu Russland ist keinerlei Rede.
Zwar trafen sich Russland und die USA am 27. Februar und 10. April 2025 in Istanbul mit dem Ziel, die Arbeit der diplomatischen Vertretungen zu normalisieren und die bilateralen Beziehungen zu verbessern. Als Ergebnis der letzten Konsultation einigten sich die Parteien darauf, die Bewegungsfreiheit von Diplomaten zu vereinfachen und einen „Fahrplan“ für beschlagnahmtes russisches diplomatisches Eigentum zu entwickeln.

Der stellvertretende Außenminister Russlands, Sergei Alexejewitsch Rjabkow erklärte jedoch am 10. Juli 2025, es sei bei dem Dialog mit den USA über die Wiederherstellung der bilateralen Beziehungen eine „technische Pause“ entstanden. Das russische Außenministerium erwarte in Kürze konkrete Informationen zum Termin der nächsten Konsultationsrunde.
Hinter vorgehaltener Hand erfahren Menschen mit Kontakten zu Rjabkow, dass dieser darauf hingewiesen habe, dass es in den bisherigen Gesprächen ausser „schönen Worten“ keinerlei positive Bewegung in der Sache gegeben habe. So sind beispielsweise die von den USA beschlagnahmten Immobilen Russlands in den USA nicht zurückgegeben worden. Auch von der vereinbarten Einrichtung direkter Flugverbindungen zwischen den USA und Russland ist ebenfalls keine Rede mehr. Soviel zum Thema „Deal-Making“ oder gar einer Normalisierung der Beziehungen zwischen den USA und Russland.
Ende des Tauwetters
Aber was das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht hat, war die krasse Treuwidrigkeit USreals gegenüber dem Iran.
Am 22. Juni 2025 führten die USA unter dem Codenamen „Operation Midnight Hammer“ Luftangriffe auf drei iranische Nuklearanlagen in Fordow, Natanz und Isfahan durch. Zuvor hatten die kollektiven westlichen Geheimdienste den Iran am 13. Juni mit einem Überraschungsangriff überfallen.
Im Sommer 2025 gab es jedoch parallele diplomatische Bemühungen und Gespräche zwischen den USA, dem US-Kongress und Iran, die sich auf das Nuklearprogramm und die Spannungen im Nahen Osten bezogen. Die Bombardierung der iranischen Nuklearanlagen am 22. Juni 2025 fiel in eine Phase, in der verdeckte Verhandlungen zwischen US-Vertretern und iranischen Diplomaten stattfanden, um eine Deeskalation zu erreichen oder zumindest die sogenannten „nuklearen“ Spannungen einzudämmen. Zugleich bereiteten aber das US-Militär und einige Hardliner in der US-Regierung militärische Operationen vor, die dann auch umgesetzt wurden.
Bei diesem widersprüchlichen Vorgehen wurden die fundamentalsten Grundsätze von Treu und Glauben im zwischenmenschlichen Miteinander in krasser Form verletzt. Jeder Verhandlungsführer weiss, dass man auch vor Vertragsabschluss und während der Vertragsverhandlungen rechtlich verantwortlich gemacht werden kann, wenn man z.B. wichtige Informationen verschweigt, falsche Angaben macht oder unredlich handelt. So soll der Schutz des Vertrauens im privaten und im internationalen Geschäftsverkehr gewährleistet werden.
Aber selbstverständlich nehmen diese „Herren der Welt“ für sich in Anspruch, dass diese Grundsätze nur für die „Sklaven“ gelten: „Quod licet Iovi, non licet bovi“ („Was dem Jupiter erlaubt ist, ist dem Ochsen nicht erlaubt.“). Was dem Mächtigen oder Privilegierten erlaubt ist, ist für „normale“ Menschen verboten oder nicht möglich.
Dies erinnert stark an die Unterscheidung zwischen ius divinum (unveränderliches göttliches Recht) und ius positivum (weltliches Recht) im früheren Kirchenrecht. Es gab bis ins 19. Jahrhundert Kirchenrechtler, die meinten, dass Vertäge zwischen einer nichtkirchlichen Einheit (Staat) und dem Heiligen Stuhl für die Kirche keine völkerrechtliche Bindungswirkung entfalten. Die Kirche als göttliche Einrichtung könne sich in ihrem Sendungsauftrag gar nicht durch weltliche Verträge binden. Das Wohl der Seelen (salus animarum) habe Vorrang vor jedem weltlichen Abkommen. Wenn ein Konkordat also einem solchen höchsten Ziel widerspräche, sei die Kirche ipso facto nicht daran gebunden.
Der religiös motivierte politische Exzeptionalismus des „Manifest Destiny“ aus dem 19. Jahrhundert ist eine platte Kopie dieser Vorstellung. Sie besagt, dass die Vereinigten Staaten eine göttliche Bestimmung („destiny“) hätten, sich über den nordamerikanischen Kontinent und auch darüber hinaus auszubreiten.

In dieser allegorischen Darstellung des „Manifest Destiny“ personifiziert die Figur Columbia die USA, die den amerikanischen Siedlern das „Licht der Zivilisation“ nach Westen tragen und die Ureinwohner und andere wilde Tiere vertreiben. Columbia zieht einen Telegraphendraht und hält ein Schulbuch in der rechten Hand. Die westlichen selbsternannten Weltmächtigen leben noch immer in einer solchen Phantasiewelt.
Jetzt haben aber sogar einige der treuesten Weggefährten der NATO und der US Militärmaschinerie die sprichwörtliche Nase voll – oder sollte man sagen, sie verstehen endlich, dass sie nur Werkzeuge und Opfer eines langsam absterbenden wahnhafen Imperiums sind.
Abstimmung mit den Füssen
Indo-Pacific Four (IP4) ist eine informelle Allianz aus Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland, die seit 2022 regelmäßig an NATO-Gipfeln teilnimmt. Ihr Ziel ist, sicherheitsrelevante Herausforderungen im Euro‑Atlantik mit denen im Indo‑Pazifik zu verbinden. Für den Westen haben diese Vier eine äusserst hohe strategische Bedeutung. Ihre Vereinigung bündelt die Indo‑Pazifik‑Dimension im Rahmen der NATO‑Kooperation.
Beim NATO-Gipfel vom 24.–25. Juni 2025 in Den Haag fehlten die Regierungschefs aus Südkorea (Präsident Lee Jae Myung), Japan (Premierminister Shigeru Ishiba) und Australien (Anthony Albanese).
Premierminister Ishiba strich seine Teilnahme nur drei Tage vor dem Gipfel offiziell. Das japanische Aussenministerium nannte dafür vage „verschiedene Umstände“.
Präsident Lee Jae Myung verzichtete auf die Teilnahme wegen "häuslicher Prioritäten" und wegen der Entwicklungen in Westasien. Die Spannungen dort hätten sich verschärft, nachdem die USA am Sonntag iranische Nuklearanlagen angegriffen haben, während die Feindseligkeiten zwischen Israel und dem Iran weiter andauern. Ausserdem bestünden Sorgen, China oder Russland zu provozieren – besonders nach den US-Angriffen auf iranische Ziele.
Auch Premierminister Albanese sagte ebenfalls knapp vor dem Gipfel ab. Als Gründe wurden hier neben den Spannungen im Nahen Osten handels- und verteidigungspolitische Spannungen mit den USA, besonders bezüglich Zöllen und anderen Forderungen angeführt.
Nur Neuseelands Premier Christopher Luxon war als einziger der IP4-Staaten anwesend.

Die Abwesenheit dieser Länder war kein Zufall, sondern ein bewusster gemeinsamer Entschluss, wesentlich aufgrund der aggressiven Vorgehensweise USraels gegen den Iran. Bisher treue und für den Westen immer verlässliche Allierte stimmen zunehmend mit den Füssen gegen die fortgesetzte imperiale Politik ab, weil sie ihre eigenen vitalen Interessen durch die westliche Politik gefährdet sehen. Zudem sehen sie immer deutlicher eine echte Alternative.
BRICS ist das neue post-westliche Umfeld
Der Westen wähnt sich in einem neuen „Kampf der Kulturen“ (Clash of Civilizations), ein Schlagwort, das Samuel P. Huntington in den 1990er-Jahren geprägt hat. Die globale Mehrheit sieht das vollständig anders. Nach ihrer Ansicht handelt es sich um einen Bruch mit der Vergangenheit.
BRICS ist kein konfrontatives Bündnis, sondern handelt aus Eigeninteressen und sucht dafür globale Einflussnahme. Diese Länder konzipieren sich als Teil einer neuen multipolaren Weltordnung, die nicht west-zentriert ist.
Sergej Lawrow, der russische Außenminister, sprach schon auf der 53. Münchner Sicherheitskonferenz von 2017 von einer „post‑westlichen Weltordnung“ ("post-Western world order"), in der jedes Land durch seine eigene Souveränität definiert sei.
Im Juni 2017 hielt der chinesische Staatschef Xi Jinping im Rahmen des BRICS-Wirtschaftsforums eine wegweisende Rede, in der er die Vorherrschaft des Westens in der Weltwirtschaft infrage stellte. Seiner Rede nach beabsichtigt China, gemeinsam mit Partnern eine neue globale Wertschöpfungskette aufzubauen, indem es die wirtschaftliche Globalisierung neu ausbalanciert.

Seither gab es zu vielen Gelegenheiten Stellungnahmen im gleichen Tenor.
Wladimir Putin, Präsident Russlands, stellte klar:
„Wir arbeiten nicht gegen irgendjemanden; wir arbeiten in unseren eigenen Interessen und denen der Mitgliedstaaten. BRICS verfolgt keine konfrontative Agenda.“
Sergej Lawrow, russischer Außenminister, ergänzte nochmals:
„Wir kämpfen um ein Gleichgewicht der Interessen, jedoch in keiner Weise gegen jemanden im Westen.“

Celso Amorim, brasilianischer BRICS-Gründer und Diplomat, betonte:
„BRICS ist nicht gegen den Westen, es ist für Gleichgewicht, für Entwicklung, für Multilateralismus und soziale Gerechtigkeit.“
Ein Artikel in der South China Morning Post formuliert:
„BRICS ist nicht anti-westlich; es will eine gerechtere Weltordnung.“

Auch Eurasia Magazine bringt es auf den Punkt:
„Das BRICS‑System ist ›Non‑West‹, aber nicht ›Anti‑West‹.“
The Guardian kommentiert, BRICS baue eine Finanz‑Infrastruktur auf, um sich "vom westlichen System unabhängig zu machen" – ein deutliches Zeichen für eine neue, dezentralisierte Weltordnung.
Zusammengefasst: Die Vertreter der BRICS-Länder sagen klar, dass sie nicht anti-westlich, aber nicht mehr pro-westlich sind. Sie agieren in einer post‑westlichen, multipolaren Ordnung, die verständlicherweise mehr und mehr Zulauf erhält.
Also, lieber Westen: Es wäre höchste Zeit für mutige Entscheidungen.
Es scheint, dass niemand im Westen die anstehenden, zugegeben schwierigen Entscheidungen zu treffen wagt. Ziehen wir uns zurück? Erkennen wir die Probleme, die wir in unseren eigenen Ländern haben? Gehen wir diese Probleme an? Reformieren wir die Wirtschaft? Reformieren wir die Art und Weise, wie wir regieren, und schlagen wir einen anderen Weg ein? Mit anderen Worten: Geben wir bereitwillig unsere politische, finanzielle und militärische Vorherrschaft über die Welt auf? Denn darum geht es hier wirklich.
Wladimir Putin und Xi Jinping sind höflich. Sie prahlen nicht. Sie sagen nicht, dass sie die anderen vernichten oder brechen werden. Sie sind Profis. Sie lassen sich nicht auf solche Rhetorik ein. Aber wir müssen eines verstehen: Sie meinen es ernst. Entweder sind sie souverän und unabhängig, oder sie existieren nicht. Das gilt auch für uns. Auch wir im Westen müssen uns vom Finanzimperialismus emanzipieren.
Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben
Während des Mauerfalls 1989 hat Michail Gorbatschow bei einem Staatsbesuch in der DDR (Oktober 1989) Erich Honecker indirekt gewarnt, dass Reformen nötig seien. Wörtlich sagte Gorbatschow damals:
„Ich glaube, Gefahren warten nur auf jene, die nicht auf das Leben reagieren.“
Die Geschichte lehrt: Wer historische Veränderungen ignoriert, wird von ihnen überrollt.
Versteht das jemand da draussen in unserem abgehobenen Politkarussell?
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