
Krieg ohne Frieden
Einleitung
Krieg und Frieden von Leo Tolstoi ist ein Epos, in dem viele Geschichten erzählt werden und um das sich eine Liebesgeschichte rankt wie Rosen um einen Pavillon. Am Ende finden sich Natasha und Pierre, eine Geschichte also, die trotz des grossen Gemetzels einen romantischen Ausgang findet – ein Happy End nach russischer Manier.
«Eine Geschichte ist erst dann zu Ende erzählt, wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung genommen hat»
FRIEDRICH DÜRRENMATT
Nimmt man das Schweizer Literaturschwergewicht Friedrich Dürrenmatt als Richtschnur, sind die Aussichten bedeutend düsterer: Der Schweizer Jahrhundertdichter sagte nämlich: «Eine Geschichte ist erst dann zu Ende erzählt, wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung genommen hat».
Wird die Geschichte dieses Konflikts à la Tolstoi oder à la Dürrenmatt enden?
Befinden sich Länder im Kriegszustand, so kann man Frieden mit zwei Mitteln erreichen: Verhandeln oder so lange weiterkämpfen, bis die eine Seite kapituliert. Im Zweiten Weltkrieg forderten die Alliierten von Nazi-Deutschland die bedingungslose Kapitulation. Der Grund dafür lag unter anderem darin, dass sich die Alliierten im Westen und Osten nicht über den Weg trauten und verhindern wollten, dass Deutschland mit der einen oder anderen Seite einen Separatfrieden schliessen würden, durch den die Wehrmacht an der einen oder anderen Seite der Front entlastet worden wäre.
Die Alliierten erreichten ihr Ziel: Am 8. Mai 1945, nach fünf Jahren Krieg, bei welchem über 70 Millionen Menschen ihr Leben liessen, kapitulierte Deutschland. Das grösste Blutopfer brachte die Sowjetunion. Zahlen sprechen: Während des Kriegs im Osten verlor die Sowjetunion über 21'000 Menschenleben – wohlgemerkt, pro Tag.
Der zweite Weltkrieg zeigt somit, dass ein Ausfechten bis zum bitteren Ende die menschenverachtende Art der Beendigung eines Kriegs ist. Soweit zur Variante Dürrenmatt.
Es sollte somit das Ziel eines jeden Politikers sein, ein solches Blutbad zu verhindern, speziell unter der Prämisse, dass heute durch Atomwaffen auf mehr als einer Seite die Existenz der gesamten Menschheit auf dem Spiel steht.
Die Positionen und die Interessen der Parteien lassen jedoch keinen Optimismus aufkeimen.
Kriegsgrund und Kriegsschuld
Die westliche Sicht ist die folgende: Russland hat seinen friedlichen Nachbarn, das souveräne Land Ukraine, am 24. Februar ohne völkerrechtlich nachvollziehbaren Grund angegriffen und ist somit für den Krieg alleinverantwortlich. Russland will expandieren und das Sowjetreich wieder aufbauen.
Russland rechtfertigt den Angriff wie folgt: Neben den vereinbarungswidrigen fünf Natoosterweiterungen (1999 [Polen, Tschechien, Ungarn], 2004 [Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Slowakei und Slowenien], 2009 [Albanien und Kroatien], 2017 [Montenegro] und 2020 [Nordmazedonien], wurde 2014 die demokratisch gewählte Regierung Janukowytsch durch Koordination der USA geputscht. Der folgende Bürgerkrieg zwischen dem neuen - illegalen - Regime der Ukraine und dem Donbass, konnte durch die Minsker Vereinbarungen nicht beendet werden, da die Ukrainer die Vereinbarung vertragswidrig nicht implementierten. In der Zeit zwischen 2014 und Februar 2022 kamen 16'000 Zivilisten im autonomen Donbass durch Ukrainischen Artilleriebeschuss ums Leben, was Russland als Genozid bezeichnet. Die militärische Spezialoperation ziele darauf ab, diesen Zustand zu korrigieren. Von Expansion könne keine Rede sein.

Die beiden Meinungen liegen dermassen weit auseinander, dass nicht zu erwarten ist, durch Verhandlungen, Einigkeit über den Kriegsgrund zu erreichen.
Kriegspartei USA
Ein weiterer Grund, der einem schnellen Frieden im Wege steht, besteht darin, dass die Parteien, welche den Konflikt militärisch ausfechten, bei weitem nicht die Einzigen sind, welche an diesem Krieg Interessen haben und sogar daran teilnehmen; allen voran, die USA.
Die USA ist nie weit, falls es auf dieser Welt militärische Konflikte gibt. Seit 1945 nahmen die Amerikaner gemäss Wikipedia offiziell an 46 Kriegen teil. Nie wurden die USA angegriffen. In Gefahr waren lediglich – aus der Sicht der USA – die Interessen der USA. Neben diesen 46 militärischen Konflikten, mischte auch der CIA die Landkarte auf.

Helmuth Schmidt, Bundeskanzler 1974-1982, und der amerikanische Präsident Jimmy Carter gerieten wegen diesem Thema aneinander. Schmidt nannte Präsident Carter einen «Erdnussfarmer» und verbat sich amerikanische Einflussnahme. Unter anderem führte er aus: «Wer Handel miteinander betreibt, schiesst nicht aufeinander». Das jahrelange Seilziehen um North Stream, das in deren teilweisen Zerstörung gipfelte, erscheint somit aus dieser Warte in einem anderen Licht.

Es gab also durchaus Zeiten, wo Deutschland den USA bei der Verfolgung ihrer Interessen die Stirn bot. Diese Zeiten sind jedoch vorbei, allein schon aufgrund des Mangels an geeignetem Personal. Verglichen mit Helmuth Schmidt ist Bundeskanzler Scholz eine ausnehmend schwache Figur, in Zeiten wo Deutschland eine starke Führung bräuchte.
Kriegspartei NATO
Die NATO bildete zwar zwischen 2014 und 2022 pro Jahr 10'000 ukrainische Soldaten als Kriegsvorbereitung gegen Russland aus, wird aber als militärische Kraft wohl überschätzt, da sie ohne die Amerikaner nicht viel mehr ist als ein Plauderclub. Die europäischen Streitkräfte sind – abgesehen von den Türken – ein pitoyabler Haufen. In Deutschland etwa fliegen Militärhelikopterpiloten ADAC Helikopter, um ihre Pflichtstunden zu absolvieren, da der grosse Teil der Luftwaffe nicht flugbereit ist.

Das Säbelrasseln der NATO ist wohl eher das Säbelrasseln der USA auf einem zweiten Kanal.
Im letzten Moment gescheiterter Frieden
Kurz nach Kriegsbeginn im März trafen sich die Ukrainer und die Russen in Istanbul und verhandelten sehr früh über einen Frieden. Im März soll ein unterschriftsreifes Dokument bestanden haben, mit dem sowohl die Ukrainer als auch die Russen hätten leben können.
Doch dann flog Boris Johnson zweimal nach Kiew - nicht als Friedenstaube, sondern als Kriegstreiber, der die Interessen der USA vertrat, und es kam so, wie es die USA wollten: Der Krieg wurde fortgesetzt.
Sanktionsgewitter
Noch im März sprach der Westen von Frieden. Sanktionen wurden gegen kremlnahe Personen erlassen, um die russische Führung zu einem Einlenken zu veranlassen - so sagte man. Dann folgte ein Sanktionsgewitter, das jeden vermögenden Russen zum Oligarchen machte, Russland vom SWIFT ausschloss und die Fremdwährungsreserven des Riesenreichs einfror. Über 2'500 Sanktionen wurden erlassen. Der Westen war sich seiner Sache sicher und verkündete, Russland würde innert Wochen in die Knie gehen.
Offensichtlich ist den sanktionierenden Ländern jener Fehler unterlaufen, der gegenüber Russland immer wieder passiert: Der Bär wurde unterschätzt.
«Wir müssen nur die Tür auftreten, und das ganze verrottete Gebäude wird krachend zusammenbrechen»
ADOLF HITLER
1941 liess etwa Adolf Hitler über die Sowjetunion verlauten: «Wir müssen nur die Tür auftreten, und das ganze verrottete Gebäude wird krachend zusammenbrechen». Was darauf folgte, war der blutigste Waffengang in der Geschichte der Menschheit, den die Russen schlussendlich gewannen, falls man dieses Wort überhaupt in diesem Zusammenhang verwenden darf.
Finanzielle Resilienz Russlands
Die sanktionierenden Länder schätzten die finanzielle Resilienz der Russen komplett falsch ein. Sie verglichen etwa Russland mit Italien, da das Bruttosozialprodukt beider Länder etwa gleich gross ist. Der Westen verkannte jedoch, dass Russland ganz anders gestrickt ist als Italien: Erstens handelt es sich bei Italien um eines der höchstverschuldeten Länder der Welt - Russland hingegen ist das einzige Industrieland der Welt, das keine Nettoschulden hat. Zweitens handelt es sich bei Russland nicht nur um das mit Abstand grösste Land der Erde, sondern auch um das Land mit den grössten Rohstoffreserven.
Unwillen, mit dem Westen mitzumachen
Die zweite Fehleinschätzung des Westens bestand darin, dass sie davon ausgingen, dass der Rest der Welt beim Wirtschaftskrieg gegen Russland mitziehen würde. Der Rest der Welt jedoch, ist skeptisch gegenüber der amerikanischen Aussenpolitik.
Dies zeigte sich im März 2022 als - sehr zum Betrüben des Westens - viele Länder in keiner Weise bereit waren, ihre wirtschaftlichen Interessen für die propagierte Wertegemeinschaft des Westens zu opfern - so etwa Giganten wie China und Indien. Diese Länder mögen die russische Militäroperation der Russen gutheissen oder nicht, sie sind jedoch nicht bereit, ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen der westlichen Ideologie zu unterwerfen.
Die sanktionierenden Länder vereinen gegenwärtig lediglich 15% der Weltbevölkerung. Somit ist der Wirtschaftskrieg gegen Russland gescheitert und Westeuropa wurde zum Opfer der eigenen Sanktionen.
Militärische Situation
Russland eroberte bis jetzt ca. 20% der Fläche der Ukraine und nach den Referenden in den Gebieten des Donbass, Zaparoshe und Cherson wurden vier Regionen Russland angegliedert.
Die Rückzüge der russischen Armee um Charkow und Cherson werden zwar vom Westen als der Anfang vom Ende der russischen Armee bezeichnet, dafür gibt es jedoch keine Anhaltspunkte. Seit dem Beginn des Konflikts schreiben die westlichen Medien, die russische Armee sei am Untergehen, den Russen gingen Waffen und Munition aus, ein Bürgerkrieg in Russland stehe bevor, Präsident Putin sei sterbenskrank, die Chinesen würden sich von Russland abwenden, Russland sei international total isoliert. Keine dieser Meldungen erwiesen sich jedoch als zutreffend und scheinen reine Propaganda zu sein.
Neben der Teilmobilmachung von 200'000 Soldaten meldeten sich 70'000 Freiwillige, was nicht darauf hinweist, dass die russische Führung die Unterstützung des Volkes verloren hat. Es gibt durchaus Kritik an der Strategie des Kremls, aber ein grosser Teil dieser Kritik zielt darauf ab, dass der Kreml zu zaghaft vorgehe.
Die Russen bereiten sich jetzt auf den Winterkrieg vor und es scheint eher so, dass die Ukrainer Pyrrhussiege errungen haben - unter riesigen Verlusten.
Die militärische Lage scheint somit alles andere als negativ für die Russen.
Und wo ist nun der Frieden?
Die Russen sind und waren seit Februar verhandlungswillig und sind sehr daran interessiert, dass dieser Konflikt beendet werden kann. Wären sie im März noch damit zufrieden gewesen, die Krim zu behalten, den Donbass als autonom zu deklarieren, falls die Neutralität der Ukraine gesichert wäre, sieht es seit den Referenden wohl anders aus. Cherson, Zaporoshe und der Donbass gehören jetzt zu Russland. Diese Gebiete werden die Russen wohl nicht mehr hergeben.
Auf Prinzip Hoffnung stellen die Russen jedoch nicht ab. Vielmehr stellt sich Russland auf einen langen Waffengang ein und schliesst ein militärisches Eingreifen der Nato nicht aus. Man bereitet sich auf das Schlimmste vor.
Die ukrainische Bevölkerung möchte ganz sicher Frieden, da kein Volk je Krieg im eigenen Land möchte. Hunderttausende Soldaten und tausende Zivilisten sind bereits tot.
Präsident Selensky hingegen vertritt nicht die Interessen des eigenen Volkes. Vor dem Krieg hatte er pitoyable Zustimmungsraten, die seither sicher nicht besser wurden. Seine Existenz beruht auf dem Willen der USA. Bricht die militärische und finanzielle Unterstützung der USA weg, wird Präsident Selensky umgehend gestürzt werden.
Die EU trägt die grösste wirtschaftliche Last der fehlgeschlagenen Sanktionen. Zur bereits vor dem Konflikt grassierenden Inflation und der schwachen Wirtschaft, macht sich in Westeuropa Angst um die Energieversorgung breit. Die Stimmung in Westeuropa könnte somit bald kippen, besonders dann, falls es im Winter zu Versorgungslücken kommt.
«Es scheint leider so, dass bis jetzt der Schwarzmaler Dürrenmatt Oberwasser hat.»
Entscheidend ist die Haltung der USA. Oberflächlich scheinen die Amerikaner erfolgreich zu sein: Die Ukrainer führen einen Krieg für die Amerikaner gegen die Russen, was genau ihrem geopolitischen Ziel entspricht. Die amerikanischen Rüstungsgiganten haben volle Auftragsbücher und die EU gehorcht bis jetzt.
Dem steht eine äusserst gefährdete Wirtschaft entgegen: Die USA sind pleite, grosse Teile der Bevölkerung leiden unter der grassierenden Inflation, der Immobilienmarkt ist in einer katastrophalen Verfassung, die Verluste an den Finanzmärkten sind bereits beträchtlich und die riesigen Schwankungen an den Börsen zeigen, dass die Nerven blank liegen. Immer mehr Leute warten auf den Funken im Pulverfass oder auf den berühmten schwarzen Schwan.
Kommt es zum Kollaps auf den Finanzmärkten, werden die Karten neu gemischt.
Es scheint leider so, dass bis jetzt der Schwarzmaler Dürrenmatt Oberwasser hat.
«Krieg ohne Frieden»