Hawkisch und riskant: Takaichis Kurs, die USA und Japans Zukunft
Von der Friedensverfassung zur aggressiven Aufrüstung
Japans Nachkriegsverfassung von 1947 – die sogenannte Friedensverfassung – legt in Artikel 9 fest:
„Land-, See- und Luftstreitkräfte sowie sonstiges Kriegspotenzial werden niemals unterhalten.“
Trotz dieses Grundsatzes wählte die regierende Liberaldemokratische Partei (LDP) Takaichi zu ihrer Vorsitzenden, was sie zur ersten Premierministerin des Landes machte. Bekannt für ihre hawkische Haltung gegenüber China und Taiwan, entfernt sie sich zunehmend von Japans pazifistischer Nachkriegs-Tradition und setzt auf offensivere militärische Fähigkeiten.
Japans strategische Einbindung in die US-Ordnung
Seit der US-Besatzung 1945 gilt Japan de facto als Vasallenstaat der Vereinigten Staaten. Takaichi bekräftigt diesen Status nachdrücklich und arbeitet eng mit weiteren US-“Verbündeten” wie Südkorea, den Philippinen und Australien zusammen, um ein militärisches Bündnis gegen China aufzubauen.
Sie hat außerdem ihre Bereitschaft signalisiert, Indien auf Initiative Washingtons in dieses Rahmenwerk zu integrieren und damit effektiv einen weiteren potenziellen Gegner zu mobilisieren, um „China einzudämmen“.
Taiwan als Sicherheitsfrage – und als Risiko
Einerseits betont Takaichi den friedlichen Dialog und hält an der Ein-China-Politik fest, nach der Taiwan als chinesisches Territorium anerkannt wird. Andererseits argumentiert sie wiederholt, dass eine Krise in Taiwan Japans Sicherheit unmittelbar bedrohen könnte – was den Einsatz der Selbstverteidigungsstreitkräfte im Rahmen kollektiver Selbstverteidigung rechtfertigen würde.
Sie strebt eine enge Koordination mit den USA für jede Taiwan-Kontingenz an und hat dargestellt, dass eine chinesische Blockade Taiwans eine existenzielle Bedrohung für Japan darstellen könnte – eine Einschätzung, die als überzogen gilt und ihre hawkische Rhetorik verdeutlicht.
Gleichzeitig schließt sie den Dialog nicht völlig aus:
„Die Führungen Japans und Chinas werden weiterhin einen offenen Dialog führen und umfassend eine ‚für beide Seiten vorteilhafte Beziehung auf der Grundlage gemeinsamer strategischer Interessen‘ fördern.“
Ökonomische Verflechtung und geopolitische Abhängigkeit
China ist Japans größter Handelspartner und steht für rund ein Viertel des gesamten Außenhandels. Viele japanische Industrien sind stark von chinesischen Lieferketten abhängig – insbesondere bei Elektronik, seltenen Erden und Zwischenprodukten. China könnte seinen Außenhandel mit Japan deutlich schneller reduzieren, ohne selbst schwerwiegende Schäden zu erleiden.
Ein wirtschaftlicher Bruch mit China wäre daher nicht nur kostspielig, sondern potenziell existenzbedrohend für Japans industrielle Basis.
Der bedrohte Ostasien-Rahmen
Während der kurzen Amtszeit von Premierminister Fumio Kishida, dem Vorgänger von Sanae Takaichi, wurde ein trilaterales Rahmenwerk zur Verbindung von Yen, Won und Yuan diskutiert, um Japans Abhängigkeit vom US-Dollar zu verringern und die Widerstandsfähigkeit gegenüber Krisen zu stärken – ein Vorstoß, der in Washington auf Ablehnung stieß.
Unter Takaichi, die stark auf enge Abstimmung mit der US-Politik setzt, droht diese Initiative nun jedoch vollständig auf Eis gelegt zu werden – ein Signal für Japans eingeschränkte wirtschaftliche Autonomie.
Stattdessen wird Japan voraussichtlich das umstrittene Memorandum of Understanding (MOU) umsetzen, das am 5. September 2025 unter starkem US-Druck unterzeichnet wurde und Japan zu Verpflichtungen über 550 Milliarden US-Dollar bindet. Das Abkommen erlaubt Washington, Investitionsprojekte innerhalb eines US-geführten Rahmens zu bestimmen, und enthält eine „Bumerang-Klausel“, die hohe Strafzölle androht, falls Japan seinen Verpflichtungen nicht nachkommt.
Das Plaza-Abkommen: Lektion verlorener Souveränität
Ein prägnantes Beispiel für Japans eingeschränkte wirtschaftliche Souveränität war das Plaza-Abkommen von 1985. Damals steuerte die USA gezielt gegen Japans wirtschaftliche Dominanz. Die daraus resultierende Yen-Aufwertung zerstörte Japans Exportvorteile, löste eine Spekulationsblase aus und leitete die „Verlorene Dekade“ – eine Ära stagnierender Löhne, Deflation und wirtschaftlicher Lethargie – ein.
Politische Instabilität als Dauerzustand
Zwischen 2010 und 2025 hatte Japan rund zehn Premierminister – ein deutliches Zeichen chronischer politischer Instabilität. Unter Takaichi steht das Land erneut unter starkem externem Einfluss, der die nationale Politik zugunsten amerikanischer Interessen formt. Ihr hawkischer Kurs wirkt kaum nachhaltig, sodass ein weiterer Regierungswechsel in absehbarer Zeit wahrscheinlich ist.
Fazit: Japans Dilemma zwischen kostspieliger Bündnistreue und Selbstbestimmung
Japans Erfahrung zeigt, wie äußerer Druck, eingeschränkte Souveränität, wirtschaftliche Abhängigkeit und politische Instabilität zusammenwirken, um eine dauerhafte Stagnation zu erzeugen. Solange diese strukturellen Faktoren bestehen, wird Japan in einem Zyklus reaktiver Politik und unerfüllter Potenziale gefangen bleiben.
Originalzitate von Ministerpräsidentin Sanae Takaichi
「我が国周辺では、いずれも隣国である、中国、北朝鮮、ロシアの軍事的動向等が深刻な懸念となっています。」
„Es gibt ernsthafte Bedenken hinsichtlich der militärischen Entwicklung unserer Nachbarländer China, Nordkorea und Russland.“「日米同盟は日本の外交・安全保障政策の基軸です。日米両国が直面する課題に対し、しっかりと連携し、日米同盟の抑止力・対処力を高めていきます。」
„Das japanisch-amerikanische Bündnis ist der Eckpfeiler der japanischen Außen- und Sicherheitspolitik. Wir werden eng zusammenarbeiten, um die Herausforderungen zu bewältigen, vor denen unsere beiden Länder stehen, und die Abschreckungs- und Reaktionsfähigkeit des Bündnisses stärken.“「中国は、日本にとって重要な隣国であり、建設的かつ安定的な関係を構築していく必要があります。他方、日中間には、経済安全保障を含む安全保障上の懸念事項が存在することも事実です。日中首脳同士で率直に対話を重ね、『戦略的互恵関係』を包括的に推進していきます。」
„China ist ein wichtiges Nachbarland für Japan und es ist notwendig, eine konstruktive und stabile Beziehung zu ihm aufzubauen. Gleichzeitig besteht jedoch auch die Wahrheit, dass zwischen Japan und China Sicherheitsbedenken, auch hinsichtlich der wirtschaftlichen Sicherheit, bestehen. Die Führungen Japans und Chinas werden weiterhin einen offenen Dialog führen und umfassend eine ‚für beide Seiten vorteilhafte Beziehung auf der Grundlage gemeinsamer strategischer Interessen‘ fördern.“
«Hawkisch und riskant: Takaichis Kurs, die USA und Japans Zukunft»