Die Mühen des Herrn Dr. Doctorow mit den Realitäten
Herr Dr. Doctorow aus Brüssel ist nicht irgendwer. Er bezeichnet sich selbst aufgrund seines fast gesamten Berufslebens in der Sowjetunion als Russlandexperte.
Jeder hat seine Erfahrungen und seine daraus abgeleitete Meinung. Doch als er sich darauf verstieg, Präsident Putin mit Gorbatschow zu vergleichen und zu behaupten, die «Eliten» - nota bene, ohne diese zu beschreiben - würden die Absetzung Putins vorbereiten, mussten wir korrigierend eingreifen. So geschehen in unserem Beitrag „Wenn ein "Experte" den Boden unter den Füssen verliert“.
Billige Attacken gegen seine Kollegen
Gilbert Doctorow war der erste Kommentator unseres Artikels, nahm ihn also sehr wohl zur Kenntnis. Doch reagierte er auf seine Art, nicht sachlich-kollegial. Er griff nicht nur den Schreibenden an – mit dem kann ich leben – sondern warf namentlich Larry Johnson und Scott Ritter vor, sie sprächen nicht einmal Russisch und ihre «Insider Perspektiven» erhielten sie von RT, dem russischen Aussenministerium und pensionierten russischen Generälen, sie plapperten somit russische Propaganda nach, dabei insinuierend, dass sie gekauft sind. Diese Unterstellungen sind alle unzutreffend.
Ich kenne Larry Johnson und Scott Ritter beide persönlich und wir treffen uns regelmässig, wenn sie in Moskau weilen, oder anderswo. Scott Ritter, der zurzeit für über zwei Wochen in Russland weilt, sah ich in den letzten paar Tagen zwei Mal. Wir trafen russische Unternehmer, Verleger, Frontsoldaten, Speznas, Journalisten, Blogger etc.. Gestern stellte Scott Ritter sein neues Buch «Highway to Hell», in der russischen Version «Дорога в Ад», vor. Die Produzentin von Scott Ritter betreut ihn im Auftragsverhältnis, das sie Ritter in Rechnung stellt. Scott Ritter ist somit völlig unabhängig, hat mit dem Staat oder weiteren Dritten nichts zu tun und bezahlt alle seine Reisekosten aus eigener Tasche; unterstützt wird er ausschliesslich von den Lesern seines Blogs.
Er verfügt über ein beneidenswertes Netzwerk in ganz Russland und wird von den Russen als amerikanischer Patriot respektiert, der die Verständigung mit Russland sucht und fördert. Sein Russisch ist nicht grossartig, aber er verständigt sich bestens mit seiner Produzentin, welche wiederum praktisch kein Englisch spricht.
Es drängt sich der Eindruck auf, als ob Gilbert Doctorow seine Kollegen einfach beneidet und diese attackiert – unappetitlich.
Erstaunlicherweise wenig Verständnis für das russische Seelenleben
Gilbert Doctorow selbst verfügt erstaunlicherweise über keine analytisch relevanten Verbindungen in Russland, wie auch? – Wenn er in Brüssel oder in seiner Wohnung in St. Petersburg sitzt, russisches Fernsehen schaut, mit seinen alten Freunden zu Nacht isst und mit Taxifahrern palavert, ist die Ausbeute an bedeutenden Informationen eher überschaubar.
Seine von ihm selbst immer wieder betonte Konzentration auf das Fernsehen als eine Hauptquelle seiner Erkenntnisse, fällt ihm dabei auf die Füsse. Sendungen wie 60 Minuten, Solowjow live u.a. dienen dazu, das russische Volk zu unterhalten – mit klarsten Vorgaben vom Kreml. Die Menschen, welche diese Sendungen zu Millionen verfolgen, nehmen die ihnen verabreichten Informationen mit russischer Skepsis auf – das fehlt Gilbert Doctorow. Er mag russisch sprechen, aber die von uns kritisierten Fehlinterpretationen lassen auf fehlendes Verständnis der russischen Mentalität und Seele schliessen.
Doctorow wirft Russland wider besseren Wissens Xenophobie vor
Herr Dr. Doctorow gab nach einer fast dreiwöchigen Russland-Reise auf seinem Blog etwas zum Besten, das sprachlos macht. Er bezeichnet Sicherheitsmassnahmen im russischen Telekommunikationsbereich als xenophoben Windstoss und behauptet - als Belege für die angebliche russische Fremdenfeindlichkeit - fälschlicherweise, dass Ausländer ohne ständigen Wohnsitz in Russland keine russische SIM-Karte mehr besitzen dürfen.
In seinem Reisebericht teilte er der Öffentlichkeit am 6. November 2025 folgendes mit:
„Gestern habe ich meiner russischen Frau die MTS-SIM-Karte und das Eigentum an der lokalen Telefonnummer übertragen, die ich seit 2009 besitze. Warum? Weil ein neues Gesetz oder eher eine neue Verwaltungsanweisung des FSB Ausländern, die keinen ständigen Wohnsitz haben, den Besitz einer russischen Telefonnummer verbietet. Das ist nicht tragisch, selbst für diejenigen, die keine russischen Verwandten haben, die ihnen helfen könnten. Aber es zeigt, in welche Richtung der Wind weht: Es ist ein xenophober Windstoß.“
Gilbert Doctorow, 6. November 2025
Wie schon erwähnt spricht Gilbert Doctorow fließend Russisch. Also müsste es ihm ein Leichtes gewesen sein, die entsprechenden Regelungen des russischen Staates zu finden und zu verstehen, z.B. hier https://www.gosuslugi.ru/landing/sim_migrant. Für Russlandreisende, die nicht Russisch sprechen, ist die Lage etwas schwieriger, aber keineswegs unlösbar, denn die Russen sind allgemein in solchen Fällen sehr hilfsbereit und der Reisende wird zu seiner SIM-Karte kommen.
Wenn jemand eine SIM-Karte in Deutschland oder der Schweiz erwerben möchte, dann kann er das in jedem Shop eines Telefonproviders oder eines seiner Vertragspartner tun. Auch über das Internet ist dieses Problem lösbar, aber nur dann, wenn der Betreffende sich per Reisepass identifiziert. Nur dann wird man in den Besitz einer SIM-Karte kommen.
Dasselbe galt auch in Russland. Bis Anfang 2025 war es auch für Ausländer in Russland möglich, in der Anzahl unbegrenzt SIM-Karten zu erwerben.
Dann kam im Juni 2025 die Operation «Spiderweb», über welche wir berichteten: „Operation „Spiderweb“: Angriff der Ukraine und der NATO auf Russland: Ein neues Pearl Harbor? Vollständige Eskalation? Sind die Fanatiker zurück? Fakten und Analyse“.
Die russischen Sicherheitsorgane – Militär, Polizei, Sicherheitsdienste – stellten fest, dass die ukrainischen Drohnen mit russischen SIM-Karten ausgerüstet waren, die sich als „Russen“ in das russische Telefonnetz einwählen und mit Hilfe des russischen Navigationssystems bis zum anvisierten Ziel „durchhangeln“ konnten. Auch die Aufklärung von Anschlägen brachte die Erkenntnis, dass russische Telefonnummern darin verwickelt waren, deren Zugehörigkeit zu konkreten Personen schwer oder gar nicht nachzuweisen war.
Es wurden also massenhaft russische SIM-Karten erworben und in die Ukraine verbracht und damit Russen umgebracht.
Die seit 2025 geltenden neuen Bedingungen für den Erwerb bzw. Registrierung von bestehenden SIM-Karten für Ausländer sollen helfen, dieses Problem zu lösen.
Es macht uns einigermassen betroffen, dass Dr. Doctorow die offensichtliche Verbindung zwischen Terror und Massnahmen dagegen nicht herstellen konnte – oder wollte? Seine Konklusion erstaunt, wenn er schreibt:
«Es zeigt jedoch deutlich, in welche Richtung der Wind weht: Es handelt sich um eine fremdenfeindliche Tendenz.»
Gilbert Doctorow, 6. November 2025
Fazit
Es ist zugegebenermassen ein Kampf um die Deutungshoheit. Diesen kann man wohlwollend konkurrierend führen, in dem man konträre Ansichten vertritt. Oder man führt ihn so, indem man zu Mitteln greift, die objektiv betrachtet unlauter sind, indem man Kollegen mit unwahren Behauptungen angreift oder der russischen Regierung sowie der russischen Gesellschaft Ausländerfeindlichkeit vorwirft, wo es keine gibt.
Gerne erinnern wir uns an die wertvollen Analysen von Gilbert Doctorow in der Vergangenheit.
«Die Mühen des Herrn Dr. Doctorow mit den Realitäten»